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Mittwoch, 17. September 2014

Costa Rica - ein Schwellenland? Zwischen Fortschritt und Stagnation

Wir sitzen in der Schule, es ist 8.45 Uhr, draußen brennt die Sonne. Von der Hitze aber bekommen wir nichts mit, ganz im Gegenteil: Zum Schutz der 14 nagelneuen Computerplätze wurde vor Kurzem eine Klimaanlage eingebaut. Perfekte Voraussetzungen - das einzige, was fehlt, sind die Schüler. Hier ist es üblich, dass der komplette Unterricht ausfällt, wenn nur der jeweilige Tutor eines Jahrgangs fehlt. Bisher hatten wir noch keinen Schultag, ohne dass mindestens eine Klasse fehlte. 
An diesem Beispiel soll verdeutlicht werden, was bei uns Deutschen nichts als Kopfschütteln verursacht. Der Zwiespalt zwischen unglaublichen Möglichkeiten und dem, was letztendlich daraus gemacht wird. Der gute Wille ist da, aber der finale Schritt, die Umsetzung ist so oft das Problem. Einige erinnern sich vielleicht an ein Zitat aus meinem ersten Blogeintrag hier: "Alles kann, nichts muss..." Und irgendwie ist das gerade noch trauriger, als wäre es anders herum. 
Wie oft hört man hier die Leute sagen, Bildung sei der wichtigste Schlüssel, der einem die Türen zu einer besseren Zukunft und - vor allem in Bezug auf Frauen - zu finanzieller Unabhängigkeit öffnet. Viele träumen davon, eines Tages vielleicht in Europa oder Nordamerika Arbeit zu finden. Gerade deshalb steht das Englisch lernen hoch im Kurs. Aber es bleiben eben doch nur Träume und immergleiche Wortfetzen, die bei  der nächsten Gelegenheit wieder vergessen werden. Gestern Abend konnte ich meine Gastmutti Sandra zu ihrem Englischkurs begleiten. Auf die Frage, wie viele in ihrer Gruppe seien, meinte sie nur "Manchmal 2, manchmal 5, ab und zu 13 oder 14". Ich denke, es ist nicht nötig, diese Zahlen zu kommentieren. Der Kurs an sich war aufgrund des super engagierten, muttersprachlichen Lehrers zwar echt unterhaltsam. Aber als wirklich lehrreich würde ich ihn nicht beschreiben. Es wurde viel gegaggert, sich mit Stiften und Zetteln abgeworfen, das vom Lehrer initiierte Spiel wurde kurzerhand in "durch den Raum laufen und sich mit Fliegenklatschen auf den Kopf hauen" umgestaltet. Man beachte hierbei das Durchschnittsalter von  gut 40 Jahren. Sandra meinte im Nachinein, dass der Kurs für sie mehr ein lustiger Zeitvertreib ist. Keiner der Anwesenden habe ernsthafte Ambitionen, einestages in den Fortgeschrittenen-Kurs zu kommen, es sei doch so viel lustiger...
Vielleicht sind wir hier wirklich noch zu deutsch. Vielleicht dürfen wir uns über all das nicht so einen Kopf machen und müssen wirklich mehr im "Hier und Jetzt" leben, wie es immer wieder angepriesen wird. Aber egal, was in all den Lehrbüchern über die ökonomische, politische und gesellschaftliche Strukur von Schwellenländern geschrieben steht, ich hab meine ganz persönliche Definition hier gefunden. Costa Rica, ein Land, in dem die Menschen in einer Fantasiewelt leben und nicht merken, dass sie sich eigentlich nur selbst im Weg stehen. Ein Land, in dem sich keiner so wirklich entscheiden mag, ob er einen Schritt nach vorne wagen, oder doch lieber in der bekannten Umgebung bleiben soll. Costa Rica, ein Land zwischen Stagnation und Fortschritt.

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